Eine Geschichte radikaler Momente

RoseLee Goldberg über Performancekunst mit Zukunft

Das artnet Magazin kürte sie zur „weltweit aktivsten Performance-Kuratorin“. Eines ist die Gründerin des New Yorker Performa Institutes mit Sicherheit: eine Ausnahmeerscheinung. Denn RoseLee Goldberg gilt nicht nur als visionäre Aufspürerin kommender Trends und Talente – sie ist zugleich eine exzellente Kennerin der historischen Ursprüge ihrer Tätigkeit an Institutionen wie dem Bauhaus.

Kenta Nakamura, kentanakamura.com
Sie ist überzeugt: Wann immer die Kunstwelt zu kopflastig wird, ist es Zeit, sich mit Live Art zu beschäftigen.

Zur Person

RoseLee Goldberg (New York) ist Kunsthistorikerin, Autorin und Kuratorin, spezialisiert auf moderne und zeitgenössische Performance. Die Gründerin von Performa betreute Programme für das MoMA und das Guggenheim Museum in New York.

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Die Bühne war für Bauhausgründer Walter Gropius früh eine dem Bau verwandte ganzheitliche Orchestrierung von Talenten und Gewerken. Doch erst mit der Berufung Oskar Schlemmers zum Leiter der Bauhausbühne 1923 wurde aus dem expressionistischen Experiment eine theoretisch untermauerte, systematische Auseinandersetzung mit den gestalterischen Möglichkeiten von Mensch und Raum. RoseLee Goldbergs Expertise für gegenwärtige Kunst basiert auf einer tief greifenden Auseinandersetzung mit dieser Bühne der Moderne. Wir haben mit ihr über 100 jahre bauhaus und die Performa-Biennale 2019 gesprochen.

Wie sind Sie auf das Bauhaus gekommen?

Ich habe schon als Kind getanzt und meinen Bachelor in Bildender Kunst gemacht. Ich war in beiden Disziplinen gleichermaßen engagiert, als Malerin und Tänzerin, und war zerrissen, in welche Richtung ich weitergehen sollte. Als ich (von Südafrika) nach London umzog, um ans Courtauld Institute of Art zu gehen, entdeckte ich bei einer Ausstellung in der Royal Academy of Arts das Werk von Oskar Schlemmer. Ich war sofort fasziniert von seiner Arbeit und seinen Schriften, in denen er endlos den Konflikt der „beiden Seelen“ erörterte, wie er sie nannte: die apollinische (Intellekt, Malerei, Bildhauerei) und die dionysische (Emotion, Theater, Tanz). Ich konnte die Art, wie er den Konflikt zwischen beiden löste, sehr gut nachvollziehen.

Was denken Sie über die Anmerkung aus Schlemmers Bauhausbuch über die „Bühne im Bauhaus“, dass die Bühne kein Ort sein sollte, an dem politische und soziale Themen behandelt werden sollten?

Die utopische Vision von Gropius und den zum Bauhaus gehörenden Künstlern war, glaube ich, bereits eine Art, Politik und Gesellschaft durch eine radikale Kunstausbildung zu diskutieren. In Deutschland war es die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Ersten Weltkrieg, und jede Prämisse des Bauhauses beschrieb eine radikale Vision für eine neue Gesellschaft; es war der utopische Glaube an Bildung als eine Art des kreativen Denkens und Lebens, bei der jede Geste auf ihre reinste Form hin untersucht wurde.

Spielte diese Geschichte für die Anfänge von Performa eine Rolle?

Meine Hauptgründe, Performa und die Performa-Biennale ins Leben zu rufen, waren, dass ich diese außergewöhnliche Geschichte auf einer möglichst breiten Bühne bekannt machen wollte. Wie Sie wissen, erschien 1979 mein Buch „Die Kunst der Performance: vom Futurismus bis heute“, das mittlerweile in mehr als zwölf Sprachen verlegt wurde. Ich habe weitere Bücher über dieses Thema geschrieben, unter anderem „Performance Now: Live Art for the Twenty-First Century“, das dieses Jahr erschien. Ich habe viele Vorträge gehalten, an der New York University und anderen Hochschulen unterrichtet und war Kuratorin vieler Ausstellungen, die alle die Information und Weiterbildung der Öffentlichkeit über diesen wichtigen Aspekt der Kunstgeschichte zum Ziel hatten, da Live Art in der Kunstge- schichte grundsätzlich ausgelassen und ignoriert wird. Performance wurde immer als eine Art „Nebenschauplatz“ behandelt. Ich wollte erläutern, dass sie für unser Kunstverständnis und die Art, wie Künstler und Künstlerinnen arbeiten, wesentlich ist, dass sie auch Einblicke in die Soziologie der Kunst bietet; und ich habe entschieden, dass die einzige Möglichkeit, wie ich dieses Ziel wirklich erreichen kann, darin besteht, ihm eine ganze Organisation und eine eigene Biennale zu widmen. Ein weiterer Grund, Performa ins Leben zu rufen, war, dass 2004 deutlich wurde, dass die Kunstwelt zu sehr marktbestimmt, zu kopflastig war. Ich wollte New York wieder für die kreative Szene zurückgewinnen, wieder etwas von der Abenteuerlust und puren Waghalsigkeit der Kunstwelt entfachen, die mich in den 1970er-Jahren hauptsächlich dazu gebracht hatten, nach New York zu kommen. Ich wollte eine Gemeinschaft gründen – aus Künstlern, Autoren, Architekten, Filmemachern, Philosophen, Choreografen, Dichtern und Komponisten, wollte Orte der Zusammenkunft und Reflexion schaffen und Wege finden, neue Kunst und aufstrebende Künstler zu unterstützen und zu beauftragen.

Für Goldberg zielte das Bauhaus darauf ab, Gesellschaft durch radikale Kunstausbildung zu diskutieren.
Kenta Nakamura, kentanakamura.com
Für Goldberg zielte das Bauhaus darauf ab, Gesellschaft durch radikale Kunstausbildung zu diskutieren.

Es wird wie immer ein paar wenige geben, die ihr Material auf eine andere Ebene heben

RosLee Goldberg

Hat das Bauhaus Ihr Performa-Konzept in irgendeiner Weise beeinflusst?

Nicht direkt, obwohl ich das Bauhaus schon immer als Modell für den Aufbau einer spannenden intellektuellen und kreativen Szene betrachtet habe, in der alle Künste unter einem Dach analysiert und geschaffen werden. Gropius schrieb über „Vorträge, Poesie, Kostümfeste“ als Teil der Bildung und des Ethos des Bauhauses. Eine unserer ersten Performa-Galas war vom Metallischen Fest inspiriert, wir hatten sogar einen speziellen Wagen, auf dem die Besucher hereingefahren wurden. Es war ein großer Erfolg und brachte vielen Menschen die Ideen Schlemmers und des Bauhauses näher.

Ist ein aktualisiertes Bauhaus für Sie eine wünschenswerte Utopie?

Das Bauhaus hat in den letzten hundert Jahren Kunst- und Architekturhochschulen auf der ganzen Welt inspiriert, darunter das Black Mountain College, das für einige Bauhaus-Künstler Zufluchtsort vor dem Naziterror war und das für wahrhaft experimentelle und bahnbrechende Arbeiten wichtige Impulse gab. Künstler wie Anni und Josef Albers, Robert Rauschenberg, Merce Cunnigham, John Cage oder Buckminster Fuller kamen hier in den 1950er-Jahren zusammen und formten später, in den 1960er und 1970er-Jahren, New Yorks Downtown-Kunstszene. Das Bauhaus ist immer noch ein guter Maßstab, und wir wer- den es im Zuge der Performa 19 dazu nutzen, eine tiefer gehende Untersuchung der Kunsthochschule des 21. Jahrhunderts anzustoßen. Es wer- den viele Aspekte der Kunsthochschule überprüft, u. a. „Kunst und Technik – eine neue Einheit“, die Bauhaus-Ausstellung von 1923 und inwiefern diese frühen Positionen zu neuen Medien noch relevant sind.

Apropos „Neue Medien“: Was halten Sie von Kunst in sozialen Medien? Sind diese nicht die Bühne einer demokratischen Gesellschaft?

Künstler werden immer von den neuesten Technologien angezogen, und natürlich nutzen viele junge Künstler die sozialen Medien als allgemeine Plattform. Es wird jedoch wie immer ein paar wenige geben, die dieses Material auf eine andere Ebene heben, die es zerlegen und uns dazu bringen, ihr ästhetisches Potential zu überdenken, und die auch Wege finden, die einzelnen Elemente in Live-Präsentationen zu kombinieren, z. B. in einer Galerie oder in einem Theater.

Sie sind Kunsthistorikerin, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Was können Künstler Ihrer Meinung nach aus der Geschichte lernen?

Geschichte entsteht aus radikalen Momenten. Wenn wir auf frühere beeinflussende Momente und Bewegungen zurückblicken, entdecken wir eine Radikalität von Ideen, Absichten und neuen ästhetischen Entwicklungen, die unserem heutigen Denken Nahrung geben. Die Geschichte ist immer eine Quelle für lebende Künstler und Künstlerinnen; in jedem Gespräch mit einem Künstler oder einer Künstlerin werden unweigerlich bedeutende Bezugnahmen auf die Vergangenheit aufgedeckt, die er oder sie in seinem oder ihrem Werk nutzt, um Wege neu zu erfinden.

Live-Performances gewinnen weltweit an Publikum – trotz oder gerade wegen des Booms der sozialen Medien?
Kenta Nakamura, kentanakamura.com
Live-Performances gewinnen weltweit an Publikum – trotz oder gerade wegen des Booms der sozialen Medien?

Wird die Sprache des Körpers an Bedeutung gewinnen, da wir uns in unserem Alltag immer länger in digitalen Räumen bewegen?

Live-Performances gewinnen tatsächlich weltweit in Museen und Galerien mehr Publikum, wobei ein Teil davon sicher auf unsere medienüberfrachtete Welt zurückzuführen ist, aber auch weil es für Publikum verlockend ist, sich dort aufzuhalten, wo Performer sind und man an die Kunst und die Ideen unserer Zeit herangeführt wird. Dies ist ein Grund mehr, sich heutzutage noch genauer und tiefer gehend mit dem Werk von Oskar Schlemmer auseinanderzusetzen – und mit der Art und Weise, wie er die Bauhausbühne ins Zentrum seiner Lehre und sei- nes kreativen Schaffens rückte.

Welche Kriterien setzen Sie bei ihrer Vorbereitung der kommenden Performa-Biennale, die 100 jahre bauhaus zum Gegenstand hat, bei der Auswahl der teilnehmenden Künstler an?

Wir suchen nicht nach Künstlern, die die gleichen Elemente benutzen oder rekonstruieren, was am Bauhaus geschah. Wir suchen nach neuen Wegen, über einige der damals aufgeworfenen Themen nachzudenken, wollen neue Ideen anstoßen. Die Kunst und Technik der Bauhaus-Ausstellung von 1923 wird zum Anlass genommen, um zu untersuchen, was es für junge Künstler bedeutet, mit Technik und Live-Performance sowie einer Kombination aus beiden zu arbeiten. Je tiefer die Gespräche des Bauhauses über Kunst und Technik gehen, desto mehr eröffnen sie mir neue Denkansätze, wie junge Künstler dieses Material nutzen könnten. Es gibt immer Verbindungen zu entdecken, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht sichtbar sind.

Was ist die Bühne von morgen?

Was sind die Kunst und die Kultur von morgen? Eine interessante Frage, die ich mir selbst täglich stelle. Wir müssen ein gewisses Niveau von Komplexität halten und wir müssen die Sprachen finden, die uns dabei helfen. Es geht im Wesentlichen darum, in der Gegenwart zu leben, und um die Frage, wie gut wir dies können, wie gut wir kommunizieren und Menschen hierfür zusammenbringen können. Also lassen Sie uns im Gespräch bleiben. Ich habe hierauf keine definitive Antwort.

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Frau Goldberg, vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Artikel stammt aus der dritten Ausgabe des Magazins „bauhaus now”.

    [NF 2018; Übersetzung: TR]

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