Genossenschaftliches Kinderheim Mümliswil, Schweiz

Hannes Meyer, 1938–1939

Das genossenschaftliche Kinderheim Mümliswil war der einzige Auftrag, den der ehemalige Bauhaus-Direktor Hannes Meyer nach seinem Aufenthalt in der Sowjetunion in seiner Schweizer Heimat realisieren konnte. 1939 reiste er schließlich weiter nach Mexiko.

Max Guther, maxguther.de
Illustration des Genossenschaftlichen Kinderheims Mümliswil (Ausschnitt).

Text

1938 stifteten Dr. Bernhard Jaeggi, Leiter des Verbandes Schweizerischer Konsumvereine (KSV) und „Pionier der Genossenschaftsbewegung“ und seine Frau Pauline den Bau eines genossenschaftlichen Kinderheimes in ihrem Heimatort ©liswil, im Nordwesten der Schweiz. Für einen Zeitraum von ein bis drei Monaten sollten hier 20 bis 24 „körperlich geschwächte Kinder aller Volkskreise“ durch „zweckmäßige Ernährung, fortschrittliche Wohnform, gesunde Art sportlicher und spielerischer Bewegung in der Bergwelt des Solothurner Jura“ gesundheitlich gefördert und ihr Charakter „im Sinne einer genossenschaftlichen Pädagogik“ gebildet werden.

Mit dem Bau des Kinderheimes beauftragte Jaeggi den befreundeten Hannes Meyer. Auf besonderen Wunsch des Bauherrn sollte mit dem Neubau das lokale Baugewerbe in diesen schwierigen wirtschaftlichen Jahren unterstützt werden. Daher entschied sich Meyer für einen „gemischtem Holz- und Massivbau“, an dem sowohl Bauhandwerker aus ©liswil in traditionellen Bauweisen mitwirkten, als auch hochmoderne Baustoffe und standardisierte Bauelemente zur Ausführung kamen.

Für das Kinderheim wurde ein Grundstück am Hang oberhalb des kleinen Dorfes Mümliswil mit einem weiten Blick in die Landschaft gefunden. Meyer wählte als Bauplatz eine nahezu ebene Fläche im nördlichen Teil des Grundstücks. Dort spannt sein zweiflügeliger Bau einen Hof auf, von dem aus man über einen großen überdachten Vorplatz den Südflügel betritt. Hier liegen im Erdgeschoss die Gemeinschafts-, Büro- und Wirtschaftsräume. Im Geschoss darüber reihen sich sechs Zimmer für das Personal und für Gäste aneinander. Klar getrennt davon sind die Bereiche für die Kinder im Ostflügel untergebracht mit fünf Mehrbettzimmern im Obergeschoss und dem 20 Meter breiten Spielhof im offenen Erdgeschoss. Auch von außen sind die getrennten Funktionsbereiche der Schlafbereiche (Holz) und der übrigen Räume (Massivbau) durch ihre unterschiedliche Materialität ablesbar.

Zentrum des Hauses und der Gemeinschaft ist der „Runde Saal“, „wo sich die jeweils anwesende Gruppe von 20–25 Kindern mit den erwachsenen Betreuern zur Tafelrunde zusammenfindet.“ Gleichzeitig berücksichtigte Meyer, der als Kind mit seinen Brüdern selbst mehrere Jahre in einem Waisenhaus verbrachte, das Bedürfnis eines jeden Kindes auf Rückzug. „Es sollte seine Siebensachen im eigenen Schrank aufbewahren können und den Brief an die Eltern im stillen Winkel verfassen können.“ Ebenso maß er der Natur und differenzierten Außenräumen mit Spiel- und Sportflächen, die zum Teil auch bei schlechter Witterung genutzt werden konnten, in seiner Planung eine große Bedeutung zu. Aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus konnte Meyer als Architekt die Bedürfnisse der Kinder während eines temporären Heimaufenthaltes berücksichtigen und mit den Überlegungen einer fortschrittlichen Pädagogik im Sinne Pestalozzis in einer durchdachten, funktionalen baulichen Lösung zusammenführen. Das Kinderheim Mümliswil steht seit 2012 unter Denkmalschutz und beherbergt heute die Erste Nationale Gedenkstätte Mümliswil.

(NO 2018)

  1. Literatur:
  2. Gabriel Häussler (2005): Hannes Meyer und das Kinderheim in Mümliswil, in: Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solothurn, Solothurn, S.19–28.
  3. Meyer, Hannes: Dokumentation. Genossenschaftliches Kinderheim in Mümliswil (1937-1939), in: Bauhaus Archiv / Museum für Gestaltung (Hg., 1989): hannes meyer 1889–1954. architekt urbanist lehrer, Berlin, S. 294–313
  4. Meyer, Hannes: Das Kinderheim in Mümliswil, in: Ebd., S. 314–315
  5. Meyer, Hannes: Kinderheim in Mümliswil, in: Das Werk. Architektur und Kunst, 40 (1953), S. 213–216
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