„Meine Beschäftigung mit der Bauhausbühne ist sehr emphatisch“

Als künstlerische Leiterin verantwortet Bettina Wagner-Bergelt das Eröffnungsfestival von 100 jahre bauhaus. Das Festival leitet als Auftaktveranstaltung im Januar 2019 das Bauhaus-Jubiläum in Berlin ein. Schon vor diesem Engagement hat sich Wagner-Bergelt ausführlich mit der Bauhausbühne beschäftigt.

Frau Wagner-Bergelt, Sie kuratieren das Eröffnungsfestival im Januar 2019, was erwartet die Zuschauer?

Es ist das Eröffnungsfestival des Bauhausjahres 2019 – als solches hat es vor allem die Funktion, Lust und Neugier zu wecken auf die vielen Facetten des Bauhauses, mit denen es in dem ganzen Jahr in vielen Städten, in ganz Deutschland und auch an bestimmten Orten der Welt wie Chicago oder Tel Aviv gefeiert und reflektiert wird. Das heißt, mir schwebt ein pulsierender Organismus aus sehr unterschiedlichen Formaten vor. Die Akademie der Künste am Hanseatenweg soll eine Woche lang bevölkert werden von neugierigen Menschen, die sich auf die Kunstwerke, Installationen, Konzerte, Theater, Tanz und Puppenspiel einlassen und Spaß daran haben, Altes und Neues zu entdecken, das im Kontext des Bauhauses damals und heute steht. Wichtig ist mir, dass das Festival den Geist des Bauhauses atmet.

Wenn man an das Bauhaus denkt, oder Menschen danach fragt, fallen zuerst Begriffe wie Architektur und Design, Möbel, Geschirr… Welche Themen werden Sie präsentieren?

Nun, das Thema Bauhaus ist tatsächlich ein unendliches Feld. Der erste Schritt während meiner Recherchen war, aus den vielen Bereichen, mit denen sich die Künstler und Studenten am Bauhaus beschäftigt haben, ein eigenes Thema herauszuarbeiten, mich zu konzentrieren auf das, was mich persönlich am Bauhaus interessiert und fasziniert, und das ist naturgemäß die Bauhausbühne im weitesten Sinn samt deren Protagonisten. Die Ideen, Konzepte, konkrete Arbeiten und Spuren, die bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen sind.

Was bedeutet das Thema Bauhaus für die Ausrichtung des Festivals?

Es ist ein monothematisches, aber zugleich auch transmediales und interdisziplinäres Festival. Es ist nicht nur eine Ausstellung, aber es kann auch eine Ausstellung sein. Es ist kein Seminar, kein Symposium, aber dennoch hat es diskursive Beiträge. Ein Festival ist zuallererst ein Ort und eine Gelegenheit der Begegnung. Es ist etwas Lebendiges. Und gesetzt war von Anfang an auch die Akademie der Künste als Austragungsort mit Bühne, Ausstellungshallen, Foyers und Gesellschaftsräumen. Innerhalb dieser Koordinaten habe ich mich bewegt und in den vergangenen Monaten ein Konzept erarbeitet.

Sie können sicher noch keine konkreten Punkte des Festivalprogramms verraten. Wie aber sieht es zum Beispiel mit der Idee des gemeinsamen Arbeitens, des Lehrens und Lernens am Bauhaus aus: Wird dieses Thema Eingang in Ihr Programm finden? Dürfen wir nur rezipieren oder auch mitmachen?

Auf jeden Fall, es gibt partizipative Programmangebote, die meisten Künstler werden auch zu Workshops zur Verfügung stehen, die unterschiedlichen Zielgruppen offen stehen. Das Festival wird alle Altersgruppen berücksichtigen, auch Kinder! Es wird außerdem ein Fest geben – die Bauhausfeste waren ja legendär und ein wichtiger Bestandteil des gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Heute feiern wir sicher anders, aber hoffentlich mit demselben Spaß!

Was verbindet Sie persönlich mit dem Bauhaus?

Ich habe seit Mitte der 1980er Jahre immer wieder mit Gerhard Bohner gearbeitet, der sich – als einer der wenigen Künstler, die ich kenne – ästhetisch in der Tradition des Bauhauses gesehen und sehr intensiv damit auseinandergesetzt hat. Ich bin ihm in verschiedenen Werken begegnet, habe ihn zu Festivals eingeladen mit den Schlemmer- und Metall-Tänzen, mit „Schwarz Weiß Zeigen“, mit „Im (Goldenen) Schnitt“; ich habe seine „Folterungen der Beatrice Cenci“ in München betreut und habe ganz konkret schon vor 18 Jahren den ersten Versuch gestartet, das „Triadische Ballett“ in München neu zu produzieren, mit einer amerikanischen Minimal-Choreographin, neuer Musik und auch teils neuen Kostümen, um weiter mit zeitgenössischen Materialien und deren Wirkung in der Bewegung auf der Bühne zu experimentieren, wie Schlemmer es zeit seines Lebens getan hatte. Das Projekt scheiterte leider kurz vor Probenbeginn an der damals schwierigen Rechtslage, die ja auch dazu geführt hat, dass überhaupt die Bühnenwerke Schlemmers vor 2014 wenig rezipiert werden konnten.

2014, als die Rechte frei wurden, habe ich dann zusammen mit Nele Hertling von der Akademie der Künste Berlin die Rekonstruktion der Bohner’schen Fassung aus den 1970er Jahren auf den Weg gebracht. Ich konnte Ivan Liska, der mit Colleen Scott und anderen diese Produktion von Bohner, die 1977 an der Akademie der Künste entstanden war, über Jahrzehnte getanzt hatte, überzeugen, die Rekonstruktion als Produktion mit der Junior Company des Bayerischen Staatsballetts in München neu herauszubringen. Dies geschah im Rahmen des Tanzfonds Erbe der Kulturstiftung des Bundes. Es war – und ist – eine sehr erfolgreiche Arbeit, die die Junioren überall tanzen und mit der ich sie bis zum Hongkong Arts Festival 2017 gebracht habe. Wenige Jahre später habe ich Kandinskys „Der gelbe Klang“ ebenfalls in einem neuen Künstlerteam, mit Orchestermusik von Frank Zappa, beim Bayerischen Staatsballett dramaturgisch betreut, das bis 2016 ja ein herausragendes modernes Repertoire aufgebaut und international präsentiert hat, wo diese Dinge ihren Platz und ein begeistertes Publikum fanden. Meine Beschäftigung mit der Bauhausbühne dauert also schon lang und ist sehr emphatisch.

Welche Fragen drängen sich heute auf?

Nun, bei den historischen Bauhaus-Bühnenwerken ist das einfach zu beantworten, denn die stehen für sich, haben ihre eigene Magie bewahrt, ihre eigene Qualität. Zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, Bilder- und Puppentheater faszinieren sie auch heute noch ihr Publikum. Sie sind legendär geworden, vermutlich auch, weil sie so selten auf der Bühne zu sehen waren. Aber welche Einflüsse haben die Ideen und Konzepte der Künstler rund um die Bauhausbühne, oder sagen wir breiter, für das Performative, wirklich bis heute? Das ist wesentlich schwieriger zu beantworten. Ich habe mich also konzentriert auf bestimmte Forschungslinien: auf das Verhältnis Klees, Feiningers, Kandinskys zur Musik beispielsweise, auf die Impulse, die sie aus Bachs Musik bezogen, die dann Eingang in ihre Malerei gefunden haben und heute in den Arbeiten junger Künstler nachwirken, in Kompositionen und in der Malerei, der Skulptur, Objekten. Auf ihre Experimente, die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten von Licht und Schatten, etwa bei Moholy-Nagy, auf Schlemmers Ablehnung der Sprache und seine Konzentration auf Bewegung. Seine Vorliebe für die Kunstfigur, den künstlichen Stellvertreter des Menschen, der aber gleichwohl indirekt wieder menschlich beseelt werden sollte. Auf seinen bewussten Umgang mit dem Raum. Auf den Einsatz von Technik, den sehr naiven Umgang mit Technologie, die die Futuristen zur selben Zeit ideologisch brachial einzusetzen wussten, während sie am Bauhaus vor allem funktional und pragmatisch und im Wesentlichen unverdächtig gesehen wurde.

Heute gibt es zum Stand der Technologie einen Kongress nach dem anderen, ein Symposion schlägt das nächste mit den entscheidenden Fragen: Wird der Mensch sich selbst durch Roboter ersetzen? Werden wir zu einem digitalen Überwachungsstaat? Geht die Demokratie vor die Hunde? Radieren wir das Menschliche zugunsten des Systematisch-Technisierten aus? Müssen wir, was wir können, auch tun? Wird Technik immer unberechenbarer? Erledigen wir uns also in naher Zukunft selbst? Gleichzeitig bietet die digitale und virtuelle Technik aber auch ganz neue reale und auch ästhetische Möglichkeiten. Forsythe choreographiert ein Stück für eine Gruppe von Roboterarmen, die eine Poesie entwickeln, wie sie menschliche Tänzer*innen auch nicht intensiver kreieren könnten. Ganze Forschungsinstitute beschäftigen sich mit nichts anderem als den Grenzüberschreitungen in beide Richtungen, wie etwa das ZKM in Karlsruhe.

Welche politische Bedeutung sehen sie im Bauhaus und in der Bauhaus-Bühne?

Ohne dass das Bauhaus dazu explizit politische Positionen formuliert hätte, war diese Arbeit selbst natürlich schon damals immens politisch: in einer Zeit, als sich die Europäer gerade als Erzfeinde zu Millionen abgeschlachtet hatten, musste ein offener, internationaler, interdisziplinärer künstlerischer, didaktischer und menschlicher Diskurs Feinde auf den Plan rufen. Ebenso wie bestimmte rechte Kreise uns heute wieder zwingen wollen, das Eintreten für Diversität, Vielfalt und Internationalität zu rechtfertigen bzw. zugunsten nationalistischer Interessen aufzugeben.

Uns scheint, die Bauhausbühne und ihre Konzepte sind in den letzten 100 Jahren am wenigsten rezipiert worden. Täuscht dieser Eindruck?

Nein, der täuscht überhaupt nicht. In der Tat ist ja die Bühne nicht Teil des originalen Bauhausmanifests von Gropius gewesen.

Worin liegt für Sie die Bedeutung der Bauhausbühne?

Ich denke, der Bühne kam sehr schnell eine zentrale Funktion zu, weil dort all das wie in einem Kristallisationspunkt zusammenlief, was Bauhaus war oder sein wollte: Experimentierfeld. Dort konnten Lehrer wie Schüler, Meister wie Studenten sich professionell oder dilettierend mit Material, mit Licht, mit Bewegung, Text, Musik, mit den Formen des Performativen, des Spiels auseinandersetzen und sich betätigen. Man musste kein Spezialist für irgendetwas sein. Wenn heute das „Triadische Ballett“ von hochkarätig ausgebildeten Tänzer*innen dargeboten wird, die dennoch auch auf ihre Weise mit dem Material des Kostüms, seiner Form, seinen Eigenschaften kämpfen und das auch sichtbar machen – was wird wohl erst Oskar Schlemmer gekämpft haben, der weder eine Tänzerfigur hatte noch die Koordination oder Musikalität oder gar Virtuosität? Wir wollen uns nicht vorstellen, wie das ausgesehen hat… oder doch: Es war sicher komisch, spielerisch, ernst und heiter und hatte nicht die Verbissenheit, perfekt sein zu wollen. Es ging nicht zuerst um Ergebnisse, sondern um Neugier, das Ausprobieren, das Erforschen – und auch ums Scheitern. Weil man daraus lernte.

Oder nehmen wir László Moholy-Nagy, der an der Bühnenarbeit von einem ganz anderen Standpunkt aus interessiert war und viel grundsätzlicher auch wissenschaftlich geforscht hat. Seine Licht-Experimente haben im Gegensatz zu den Bühnenstücken immer wieder Generationen nach ihm inspiriert. Der koreanisch-amerikanische Künstler Tim Lee, dessen Arbeiten in den großen Museen der Welt stehen, hat einen Light-Modulator im Geiste Moholy-Nagys gebaut, aber einen heutigen, modernen, zeitgenössischen. Jan Tichy hat sich inspirieren lassen von den gläsernen Foto-Negativ-Trägern Lucia Moholys und daraus Installationen geschaffen. Ähnliche Glasscheiben benutzen zeitgenössische Choreographen wiederum als „Tanzboden“ und als musikalische Impulsgeber in ihren Bühnenräumen. Auch sie experimentieren damit, wie das Glas in Bewegung das Licht reflektiert, wie es die Bewegung des Tänzers beeinflusst, welche Geräusche, Töne beim Splittern entstehen, um all das in ihren Werken ästhetisch wieder zu einem Ganzen zusammenzuführen. Diese verschiedenen Linien bis in die Gegenwart zu verfolgen und das Publikum auch immer wieder einzubeziehen und mitwirken zu lassen, die kreative Atmosphäre des Lehrens und Lernens, des Sehens zu beschwören, das ist ein Ziel. Das genaue Programm werden wir dann in der Pressekonferenz im Herbst vorstellen.

    [YD 2018]

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